„Ihr könnt die schönsten Dinge erschaffen, solange ihr sie vor eurem inneren Auge habt“ – Bob Ross
Ein Gastbeitrag von Andreas Niepel. (Titelbild: Andreas Niepel)
Einer meiner Berufe ist es, Gärten zu gestalten. Oder besser, um den großartigen Bob Ross zu zitieren: schöne Dinge zu erschaffen. Allerdings oftmals per Befehl. Oder eben gegen Bezahlung, wenn man ehrlich ist. Dabei bin ich spezialisiert auf therapeutische Gärten, also Orte die gezielt Menschen gutt tun soll. Unter sehr unterschiedlichen Bedingungen. Und wie das so ist, wenn man mit einem solchen Auftrag handelt, dann kann dieser kreative Akt auch schon ganz schön anstrengend sein. „Du kannst tun was immer du willst, es muss dich nur glücklich machen“, dieses weitere Bob-Ross-Zitat trifft es da nicht immer, denn natürlich sind die Vorgaben des Kunden zwar glücklicherweise nie allzu konkret, was dann doch irgendwie einschränken würde, sie haben aber doch zumindest eine Art Richtungsanweisung in sich. Und so sitzt der ambitionierte Planer gerne vor dem weißen Blatt Papier und versucht – erst vor dem inneren Auge und dann auf dem Plan – den passenden Garten entstehen zu lassen.
Ob es wahr ist, dass im Augenblick des Todes das ganze Leben an einem vorbeiläuft, weiß ich nicht. Mitunter geschieht es aber genau in diesen Momenten mit dem Blick auf dieses leere Blatt, dass dabei mein ganzes Garten-Leben an mir vorbeizieht. Und das ist echt nicht ohne. Zumal mein Hirn dazu neigt, diesen Film ziemlich rasant zu schneiden, in etwa so, wie man das aus diversen Musikvideos kennt. Da blenden blitzschnell Bilder auf vom Opa im Kartoffelacker, direkt überblendet von mir selber in der Gärtnerlehre beim Fällen von überwachsenen Omorikafichten. Und bevor man sich versieht erscheinen auch schon die ersten kleingärtnerischen Versuche aus einem Frühbeetkasten einen Gartenteich zu machen. Quer darüber Hunderte an erlebten Landschaften. Norwegens Hochebene kann es sein oder auch die Weiten Sardiniens voller Oleander, dann aber plötzlich und unerwartet wieder die kargen Vulkanflächen von Lanzarote oder auch mal die gerade letzte Bundesgartenschau. Und natürlich unzählige weitere Gärten und Blumenbeete die man so im Leben besichtigen konnte. Alles in allem eine ziemlich wilde Collage. Schnell, ungeordnet und leider ohne jede Richtung.
Ein guter Garten ist eine Art gepflanztes Gefühl. Und da meine Gefühlswelt oft recht vielfältig und auch oftmals durcheinandergeraten wirkt, scheint sich das auch in meinen Gartenvorstellungen zu spiegeln. Gleichzeitig beschwingt und doch auch erschöpft, gleichzeitig erfreut und dennoch traurig zu sein, – das geht und all das kenne ich zu gut. Und daraus ergeben sich wohl nun einmal auch die vielfältigsten, manchmal eben chaotischen Gartenbilder. Wer jetzt denkt „Das kann doch nicht hilfreich sein, das leere Blatt zu füllen“, dem kann ich nur sagen: „ Japp“. Und so greife ich gerne, wenn es darum geht, all das zu sortieren und auch um es zu richten zu einem billigen Hilfsmittel: Musik.
Laut aufgedreht und gerne auf dem Kopfhörer. Ich muss zugeben, ich liebe es ganz grundsätzlich mich durch Musik ein wenig selbst zu manipulieren. Den Wu-Tang-Clan auf die Ohren und schon bin ich gefühlt wieder in Harlem, in mir breitete sich eine Mischung aus Arroganz und Coolness aus – und direkt bin ich auf der Hut vor der nächsten Strassengang. Mit Prince fühle ich mich gleich doppelt so attraktiv und Marylin Manson sorgt beim Fahrradfahren für die notwendige Grundaggressivität.
Und dieser Trick der Selbstausrichtung, der funktioniert tatsächlich auch recht gut als Filter für dieses „Quer-durch-den-Garten“ im Kopf. Allerdings: Wenn wir ich schon schreibe, dass für mein Sortieren von Gefühlen die Musik ein passender Partner ist – womit ich auf den Garten bezogen offenbar kein Einzelgänger bin; zumindest, wenn ich sehe, dasss dementsprechend ja auch klassische Gartenbilder gerne einmal mit entsprechend klassischer Musik unterlegt werden – dann darf ich gerne auch sagen, dass auch meine Gefühlswelt nun einmal nicht hundertprozentig deckungsgleich ist mit jener klassischen Musik – und Gartenwelt. Das, was ich fühle und auch das, was ich in einem Garten liebe, liegt nun einmal oft jenseits von Beethovens Pastorale oder einem Vivaldi-Menuett. Es ist nicht immer kultiviert, klebrig süß und fröhlich fließend. Um Gottes willen: Nein! Dort drinnen ist es auch manchmal duster und müde, erschrocken oder laut, mal kreischend, dann wieder flüsternd. Und so braucht es schon hier und da andere Mittel und Wege. Also: Beispiele gefällig? (Und wer möchte kann das gerne auch als Anspieltipp nutzen).
Nehmen wir folgende Situation. Es soll also im Kopf ein bestimmter Garten entstehen: Und Aha, es soll also es ein bunter sommerlicher Garten sein, einer der die Probleme der Welt Drumherum vergessen lassen soll. Beschwingt und fröhlich. Etwas, was mir – ehrlich gesagt – besonders schwer fällt. Denn der Garten in meinem Kopf ist selten bunt. Orange empfinde ich als vulgär und gelb mit allem guten Willen als billig. Wie also sortiere ich denn nun nur die dennoch partiell vorhandenen eigenen fröhlichen Gartenbilder aus diesem Hirn-Getümmel heraus: Also Musik auf:
Penguin Cafe Orchestra: Air a Danser
Und man glaubt es kaum – ratzfatz sitze ich auf der grün gestrichenen Bank meines Opas, von der die Farbe gefühlt immer abblätterte. Aber das ist okay. Schließlich ist selbst das Wetter gut und warm. Man möchte nur schauen, schauen, schauen. Und das geht gut, denn der Garten, er ist übersichtlich und er hat keinerlei drohende böse Überraschungen parat. So darf selbst in den Beeten ein gewisses Chaos herrschen, ohne dass es mich überfordert. Und weil man sich einerseits so geborgen fühlt und andererseits die Augen auch vor lauter Gelb ihre Pause brauchen, kann ich sie getrost schließen. Was sich lohnt. Denn dieser Garten in meinem Kopf, er duftet und gemeinsam mit dem leichten Wind auf dem Gesicht und dem Brummen von Hummeln bietet er so vieles all den anderen Sinnen, neben dem Schauen. Er ist viel weniger ein Bild als zunächst eine Sinnessammlung. Also noch einmal tief eingeatmet, innerlich einsinken und dann bietet sich den sich langsam wieder öffnenden Augen direkt -orange-gelb leuchtend eine Taglilie an, die sich an besagte Bank schmiegt und den Weg frei macht für ein weiteres helles Gemisch aus Margeriten und Pfingstrosen, aus Bohnen und Liebstöckel.
Noch ein wenig näher dran bin ich selber, wenn es darum geht, einen Ort zu erschaffen, der es bieten soll, dass man mit weitem Ausblick, – von einer Position aus, aus der man die Welt beobachten kann, entrückt, wenn auch nicht unberührt von den realen Gefahren und Schmerzen der Welt, dennoch ein Gefühl von Sicherheit, Übersicht und Kontrolle bekommen kann: The Cure: One Hundred Years. Und schon bauen sich enge Heckenwände aus geschnittener Rotbuche auf. Ja dunkler ist die Szenerie aber diese Hecken, sie geben auch Schutz im Rücken. Und sie leiten den Blick auf sattgrüne Rasenflächen, die sich bis zu einem Horizont ausstrecken. Diese Welt dort vor den Augen, sie ist nicht lieblich, beileibe nicht – aber sie ist doch auf ihre Art schön. Vor Allem ist sie ruhig, und ist sie Grün: Dieser Garten er lebt in einem dunklen satten Grün, ja fast Blau schon erscheinen die einzelnen Nuancen. Und über allem thronen, wie Monolithe hohe Bäume, die einen festen Rahmen bilden. Alles wirkt klar, groß und mächtig, stabil.
Man sieht vielleicht schon: Diese Gartenbilder in meinem Kopf, sie sind unscharf, keineswegs klare Pläne, die nun nur noch auf das besagte weiße Blatt übertragen werden müssen. Und das ist auch gut so. Die Vorstellung einen Garten komplett im Kopf erscheinen zu lassen um diesen dann nachzubauen erscheint mit geradezu widerlich, fast so, als wenn man beim Aussäen von Pflanzen nun versucht, genau jene Sonnenblume oder auch jenen Kürbis, der dort auf der Samenpackung zu sehen ist, wie bei einer LEGO-Packung nun eins zu eins nachzubauen. Und es ist nichtnur unscharf, es auch wilder, es ist ungeordneter und es springt hin und her. Fast wie bei einem Flipperautomaten wird die Kugel, also meine inneren Gartenbilder von den Hebeln und Bumpern, von den Gefühlen und der Musik mal hier, mal dort hinbewegt. Lassen Sie mich die Kugel doch noch mal hinausschießen:
Phillip Glass – Koyaaniskatsi : und direkt befinde ich mich in einer Art Senkgarten, Ein Garten für den Rückzug, dunkel , schützend, schattig, einen Ort , wo man langsam runterkommt und einmal ganz bei sich sein kann . Fast habe ich das Gefühl, der Garten duldet mich , es gibt nichts zu tun und ich darf und soll mich zurückhalten. Er ist ungezähmt und ohne klare Ordnung, aber dennoch fühle ich mich nicht überfordert …
Earth, Wind and Fire : September und schon stehe ich gutgelaunt in einem ganz anderem Garten, will jetzt auch was tun, will aktiv werden, mich bewegen, ja vielleicht sogar abreagieren, all das geht hier. Hier ein bischen geschnippelt, dort ein wenig sortiert. Ja, die Beete warten nur darauf, dass ich mich ihnen widme. Und danach wartet eine helle Terrasse mit buntem Sonnenschirmen und vor Allem mit Freunden darauf, dass endlich der Grill angezündet wird.
Angelo Badalamenti Twin Peaks Theme führt mich in einen Garten, geeignet um über die Welt nachzudenken, ein Ort , um seine Ruhe zu finden. Die Bäume und Sträucher sind schräg, fast verwachsen und stehen wie Skulpturen im Raum. Es ist dunkel und es ist schattig, es ist ein geschützter Raum durch dessen Kronendach leuchtende Sonnenstrahlen gleiten …
Pet Shop Boys – Bolschy : und schon erscheint ein klarer Garten, geordnet und modern. Aber diese klaren Linien , sie sind nicht langweilig, sie werden aufgefrischt von ausgefallenen Farben, eine türkise Mauer dort, eine brombeerfarbene Pergola dort. Es ist seltsamerweise kühl dort – und dennoch sonnig ….
Holger Czukay : Cool in the pool und jetzt spielen nicht nur die Farben verrückt, sondern auch kleine Statuen und Kunstwerke lassen sich überall entdecken. Ja selbst Gartenzwerge passen plötzlich, sind sogar ganz witzig. Und hier und da entdeckt man plötzlich geschnittene Formen, kleine Würmer, Knoten und Elefanten, …
Die Gartenbilder in meinem Kopf, dieser irre Schnitt, man kann ihn bändigen. Ein wenig. Und immer wieder lassen sich neue Nuancen hervorholen. Werfe Strawinsky rein und lass dich überraschen, was rauskommt, Bowie, Nick Cave oder Moby . Immer wieder eine neue Gartenwelt die dazu passt.
Oder um es mit Bob Ross zu sagen: Man muss den Blickwinkel nur ein wenig ändern, dann entdeckt man eine neue Welt“